Maria Maier
Maria Maier

Flossenlos (fish in progress)

Premiere: 26.1.2023, ACUD Theater.
Mit: Nadja Duesterberg, Raphael Dwinger, Winfried Peter Goos, Runa Pernoda Schaefer
Text & Regie: Maria Maier. Bühne & Musik: Frans Willems

Fotos: Michael Felsch

 

1
Ein Sonnenaufgang im Silicon Valley

Die Nacht klingt aus. Langsam steigt am Horizont die Sonne auf und verwandelt den festen Nebel über der Stadt in einen nahezu transparenten Dunst aus Meeresluft, Abgasen und Haarspray.

Mit dem Licht des anbrechenden Tages verwandeln sich die Gossen des Silicon Valley in die goldglänzenden Gossen des Silicon Valley (und alles, was sich hier über die Jahre hinweg angesammelt hat, erstrahlt in gnadenlosem Goldglanz).

Seite an Seite mit den Firmengiganten sprießen die Neuunternehmer empor wie der Eukalyptus im Frühling.
Kleine Start-Ups in ausrangierten Lagerhallen wachsen neben den Größten der Großen, einhellig, lauernd.
Jeder Eingang im Valley verspricht
Energien Substanzen Ressourcen
Material Substitutionen
Vision

Das Rauschen der Streets und Avenues. Das scheue Grollen des Ozeans. Die Schreie der Möwen klingen hungrig.

Es ist schon morgens so warm, das man im T-Shirt herumlaufen kann.

2
In einer Lagerhalle. Das Labor von OCEANCITY

Herum stehen Mikroskope, Reagenzgläser, Petrischalen.

Weiter hinten im Raum Unterwassergurgeln.

Meereswesen hinter Glas.

 

Areta und Gerold an der Petrischale.

 

 

ARETA     Da.
Es wächst.
Es wächst schon über den Rand.

GEROLD    Es wuchert.
Areta. Es wuchert.
Wochenlang nichts als rosa Suppe im Teller
und mit einem Mal sprießt das Zeug herauf
wie das Unkraut.

ARETA     Es heißt Fisch.
Hier wächst etwas das Fisch heißt.
Ganz gleich wie viele Zellen wir in die Schale legen
Am nächsten Tag verfügen wir über die doppelte Menge.
Aus Fisch wird zwei Mal so viel Fisch.
Fisch ohne Leiden. Sauberer Fisch.
Humanität von der Zelle bis zur Pfanne.

GEROLD    Dieser Fisch ist so was von
Frivol.
Es ist zum aus dem Fenster brüllen.

ARETA     All die Jahre, die andere ihre besten nennen,
habe ich meinen Rücken über dem Mikroskop gekrümmt.
Aber jetzt.
Dieses zarte, goldglänzende Schimmern
direkt unter meinen Augen.

GEROLD    Man will gleich den Finger reinhalten und umrühren.

ARETA     All die Jahre, Gerold
Meine Haut spannt über den Wangen
wie Pergamentpapier.
Aber ich stehe hier im Labor und sehe zu wie er wächst:
der Fisch.

GEROLD    Wenn ich jetzt nicht losschreien darf, platz ich.

ARETA     Wir sind die ersten Gerold.
Lass die Jalousien unten.

GEROLD    Wer soll sich bei uns die Nase eindrücken.
Die Fleischzüchter von nebenan haben nur Stallvieh auf der Karte.
Das Meer gehört uns.

ARETA     Es gibt Interessen, hab ich gehört.
Rind, Huhn, Schwein. Das ist alles simples Gewebe.
Aber einen Fisch großziehen.
Aus einer einzelnen Zelle ein komplettes Filet wachsen lassen.
Das ist eine wissenschaftliche –

GEROLD    Bitte nicht, Areta.
Wenn ich Revolution hör, sehe ich einen bärtigen Mann in Lederstiefeln, wie er sein Butterbrot kleinkaut.
Wie nennt dein Vater dich neuerdings.

ARETA     Er sagt: Jetzt bist du doch noch Mutter geworden
Und sei es auch nur eine –

GEROLD    Fischmama.
Dein Vater versteht was von Poesie.
Wer unseren Fisch isst, muss ein silbernes Sprudeln fühlen hinter der Brust.
Das Ringelreihen der Meerestiere.
Den Tanz im Algenwald.

ARETA     Wir entnehmen die DNA von Fischen und vermehren sie in einem Serum aus Salzen, Kohlehydraten und Proteinen.

GEROLD    DNA, Serum, Proteine.
Da krieg ich einen knotigen Hals.
Wenn der Mensch eine Gabel in der Hand hat, will er sich damit ein Bratenstück in den Mund schieben.
Und wenn er bis zum Rand voll ist mit Braten, dann will er sich die Fetzen aus den Zahnritzen pulen und mit dem Finger ein Herz auf den Teller schmieren.

[…]