Maria Maier
Maria Maier

Megalomania

Auszug. Erschienen in BELLA triste 43 (2015)
Aufführungsrechte: Hartmann und Stauffacher Verlag. UA frei

 

KRACH
Reh, Wolf, Jäger, Königin und Zwerg sitzen im Wald auf einer Lichtung. Im Hintergrund leise Störgeräusche.

REH   Wie viele Tage haben wir noch?

WOLF   Wie viele Tage. Wie viele Tage. Was fragst du denn dauernd wie viele Tage?

JÄGER   Man kann sich schon fürchten bei diesem Gerassel. Anfangs dachte ich, das ist die Strafe. Seit Jahren schießt du ohne Gehörschutz. Jetzt ist dein Trommelfell hinüber.

KÖNIGIN   Die Welt rumpelt nicht nur in deinem Kopf, Jägerchen. Der Wald als Ort der Ruhe, das ist längst überholt. Jetzt erwischt uns die Zivilisation.

JÄGER   Ach, die Zivilisation. Sonst war hier nie so ein Lärm. Da! Jetzt schellen schon wieder die Glöckchen.

REH   Habt ihr keine Angst, dass der Wald bald verschwindet?

WOLF   Wohin soll der Wald denn verschwinden. Das bisschen Geräusch treibt ihm nicht die Wurzeln aus der Erde.

REH   Wenn der Wald nicht mehr wäre, wo sollten wir hin?
Wir gehören hierher. Zwischen Holz und Grün und Sonnengeruch.
Wo die Windröschen blühen und das Haselhuhn kräht.

WOLF   Und die Hirschkäfer groß sind wie Mäuse.

JÄGER   Hört auf so zu reden.
Ich werd ganz melancholisch.

REH   Ach, der Wald.

KÖNIGIN   Ach ja, der gute Wald.
Selbst mir würde er irgendwie fehlen.

(Der Jäger spielt auf seiner Mundharmonika. Alle lauschen der Melodie. Ein einzelnes, etwas lauteres Geräusch unterbricht das Spiel des Jägers. Dann wieder leise Störgeräusche.)

REH   Ich hatte gehofft, dass es von selbst wieder aufhört.

WOLF   Es wird aufhören. Solche Dinge geschehen, aber sie vergehen auch wieder. Geschehen, vergehen. So ist das.
Aber wenn man wüsste, wo es herkommt, wäre einem schon wohler.

JÄGER   Vielleicht wird am Waldrand was gefeiert?

WOLF   Wieso gefeiert? Es gibt überhaupt nichts zu feiern.

JÄGER   Solche Feste soll es hier schon gegeben haben. Tagelange Ekstasen. Regelrechte Orgien, bei denen die Leute immerzu lachen und tanzen und Apfelwein trinken. Teilweise nackt. Und rund um die Uhr spielt Musik. Fantastisch!

WOLF   Ja ganz herrlich. Besonders der Tag danach, wenn man durch ein Meer leerer Bierdosen trabt und sich bei jedem Schritt feuchte Kippen zwischen die Zehballen schieben.

KÖNIGIN   Für mich klingt das nicht nach einem Fest. Es klingt eher nach Abriss. Als würde jemand etwas zersägen. Oder da! Wie Vogelkinderchen – eiskalt aus dem Nest gekippt.

JÄGER   Ach was. Das würde vollkommen anders klingen.

KÖNIGIN   Stimmt.

JÄGER   Man könnte ja mal nachsehen.
Jemand könnte doch einfach mal nachsehen.

WOLF   Bitte. Gern. Freiwillige vor.

REH   Wenn man weiß, wo es herkommt, kann man etwas dagegen tun.

JÄGER   Ja.

KÖNIGIN   Ja, ja.

REH   Zeit haben wir genug.

WOLF   Was heißt das? Zeit.

JÄGER   Zeit ist ein Mysterium. Stockduster und hochkompliziert.
Wo fängt die Zeit an? Und wohin geht sie, wenn sie rum ist?

KÖNIGIN   Die Frage ist eher, wo wir dann hingehen.

REH   Bis in alle Ewigkeit können wir aber auch nicht warten. Irgendetwas müssen wir tun.

JÄGER   Ein Konzert! Ich hab mal davon gehört, dass Leute mit einem Konzert sogar schon das Wetter geändert haben.
Wetter, streng dich an, sei mal ein bisschen netter. So ging das Lied.

REH   Und dann?

JÄGER   Am Ende kam die Sonne raus.